Sempervivum und der Aberglaube
Wie kam
Sempervivum zu den vielen deutschen Namen, die etwas mit dem Haus, dem Dach oder
dem Wetter zu tun haben? Zum Beispiel:
Bild:
aus Meine Grüne Welt / Ausgabe 7/2001
Diese blitzschützende Eigenschaft bestätigt auch der Verfasser der ersten Naturgeschichte in deutscher Sprache, der Regensburger Domherr Konrad von Meenberg ( 1374) in seinem Werk
„di maister/ di sich fleizend
der zauberei sprechen / daz sempervivum den donr un daz himelplatzen ( =
Blitzschläge) verjag / unnd daumb pflanzet ma ez auf den häusern“
Otto Brunfels, der Verfasser eines berühmten Kräuterbuches um 1532, machte sich bereits über diese Volksanschauung lustig und spöttelte:
„must freilich ein stumpffer und
ein doller Blytz sein / den solchiges klein kreutlein solt wierlegen“
Die tiefe Ursache dieser
Volksanschauung mag in der Naturbeobachtung liegen. Hauswurze in ihrer
exponierten Lage auf dem Dach sind den größten Unwettern ausgesetzt und
bleiben meistens unversehrt. Andererseits der Erfahrungswert, dass Häuser auf
deren Dächer Sempervivum wächst, tatsächlich viel weniger vom Blitz getroffen
werden.
Die landläufige Meinung war
lange, dass die Pflanzen sich nur auf Dächern ansiedeln lassen, bei denen das
Stroh schon etwas älter und daher auch eine gewisse Feuchtigkeit aufweisen. Ein
neues trockenes Strohdach geriete
eher in Brand als ein altes, das feucht ist. Die moderne Naturwissenschaft und
Technik hat aber eine andere einleuchtende Begründung gefunden: Jedes Blatt von
Sempervivum endet in eine feine Spitze, die den elektrischen Spannungsausgleich
zwischen Erde ( Dach) und Luft erleichtert. Durch diesen ununterbrochenen
Ausgleich kommt es erst gar nicht zur Funkentladung durch den Blitz. Diese
Erkenntnisse brachten es mit sich, dass die Blitzableiter alter Art als überholt
angesehen werden und vom sogenannten „Blitzschutz“ immer mehr verdrängt
werden.
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Mit Sempervivum bepflanztes Dach an meinem Haus
Heute zieht man den Blitz nicht mehr an und leitet ihn ab, sondern schützt sich vor der Blitzentladung durch Anbringung einiger Büschel fein gespitzter Drähte auf dem Dach, natürlich mit entsprechender Erdung, die den elektrischen Spannungsausgleich laufend auslösen. Diese Büschel der feingespitzten Drähte ist genau der Rosette von Sempervivum mit ihren spitzen Enden nachgeahmt.
Man muss nur immer wieder unsere Vorfahren bewundern, die ohne wissenschaftliche Vorbildung, ohne Labor und Instrumente immer das richtige aus den verfügbaren Mitteln auswählten. Also, doch nicht nur Aberglaube.
Nun zum richtigen Aberglauben:
In einigen Gegenden wurden beim
Herannahen eines Gewitters Sempervivumblätter im Herdfeuer verbrannt. Diese Blätter
mussten jedoch am Johannistag ( 24.
Juni) von den Pflanzen auf dem Dach gepflückt worden sein.
In Süddeutschland hängte man die
Blätter auch in die Schornsteine, damit die Hexen nicht hineinfahren konnten.
Als schlechtes Omen galt es, wenn schneeweiße Blüten erschienen. Dieses bedeutete den baldigen Tod einer Person, Bei rötlichen Blüten stand ein erfreuliches Ereignis bevor.
Ein
Schornstein mit Sempervivum- und Sedumarten, entdeckt in Inzell 2000
Der Saft
von Sempervivum vermengt mit Gummi, rotem Arsenik und Alaun soll auch
eine tolle Mischung ergeben: Auf die Hand gestrichen, ermöglicht sie das
Anfassen von glühendem Eisen.
Warzen wurden entfernt, indem man
in sie hineinstach, bis ein Tropfen Blut kam. Dann wurde die Stelle mit dem Saft
eines Blattes eingerieben und anschließend
die ganze Pflanze mit Beschwörungsformeln
weggeworfen ( somit auch die Warze). Bei der ganzen Prozedur durfte man
nur rückwärts gehen.
Viele weitere Anwendungen in der Naturheilheilkunde sind an anderer Stelle aufgeführt.
-siehe Inhaltsverzeichnis-